Früher in der Schule war das Leben noch ganz einfach: Jungs waren entweder gut in Deutsch oder sie konnten Fußball spielen. Vermutlich war das damals schon Blödsinn. Denn dass es ganz anders sein kann, beweist die Autonama, die Deutsche Autorennationalmannschaft.
Die Männer, die in ihrer Freizeit mit der Autonama
Fußballplätze unsicher machen, sind im zivilen Leben Schriftsteller. Sie
schreiben Romane, Kurzgeschichten, Gedichte, Theaterstücke und philosophische
Abhandlungen. Auf dem Patz ist davon nichts zu merken. Dort dreht sich alles um
den Ball.
Wer an „kickende Autoren“ denkt, landet schnell beim Klischee. Wie ist das bei Männern des Wortes, wenn sie ans Schienbein getreten werden? Kommt dann ein Fluch oder ein grammatikalisch korrekter und wohlklingender Satz? Rennen Lyriker und Dramatiker schreiend und schwitzend einem Ball hinterher und schnauzen sich, wenn ein Pass nicht gelingt, ordentlich an? Genau. Denn auch der Geistesmensch muss sich austoben. Vielleicht ist gerade er der perfekte Stratege auf dem Platz. Ist ein Spiel gewonnen oder ein Training geschafft, dann wenden sich die Schriftsteller wieder dem Wort zu. Frisch geduscht veranstalten sie Lesungen oder unterhalten sich in der Vereinskneipe über neue Texte.
Anfang auf
dem Acker
Dass Autoren kicken können, beweisen die Schriftsteller der Autonama nun schon seit fast zehn Jahren. 2005 kam eine Schriftstellermannschaft aus Ungarn auf Thomas Brussig zu und fragte nach einer deutschen Autorenelf. Der Romanautor sah sich um und fand einige kickende Kollegen. Irgendwie gelang es ihm, Hans Meyer, den Trainer von Hertha BSC von der Idee zu begeistern, eine Handvoll fußballbegeisterter Autoren ohne jede Taktik und Spielerfahrung zu trainieren. Gemeinsam fuhren die Schriftsteller für ein Wochenende nach Brandenburg und spielten auf einem Acker unter der Aufsicht des Trainers ihre ersten Pässe. Das war die Geburtsstunde der Autonama.

Kickende Literaten, hier gegen die
DFB-Traditionself in Schloss Neuhardenberg mit Ex-Fußballstars wie Klaus Fischer,
Frank Neubarth, Dieter Burdenski
Inzwischen sind die Autoren längst keine Anfänger mehr,
sondern Schriftstellereuropameister, wie Norbert Kron [KB3],
Romanautor und Autonamakicker der ersten Stunde erzählt. Die Mannschaft ist
zusammengewachsen und kann sich auf der fußballerischen Bühne sehen lassen.
Manche Kollegen sind seit den Anfängen dabei, gelegentlich, wenn die Mannschaft
durch Verletzungen und Romanabgabefristen ausgedünnt wird, sehen sich die
Autoren nach neuen Mitgliedern um. Bedingungen für die Aufnahme in der Autonama
gibt es zwei: Der Bewerber muss mindestens zwei fiktive Bücher veröffentlicht
haben und kicken können. Manchmal ist es gar nicht so einfach, die Schnittmenge
zu treffen. Matthias
Sachau passte in
die Schnittmenge. Vor zwei Jahren wurde er in einer Parkmannschaft gecastet,
bis dahin spielte er in einer Journalistenmannschaft und kannte die Autonama
als ernstzunehmenden Gegner. Mit acht Romanen und Spielerfahrung war er schnell
aufgenommen, inzwischen war er bei einigen legendäre Schlachten dabei. Auch
wenn es für Matthias Sachau um den Spaß geht, gewinnen will er schon. „Auf dem
Platz will jeder Einzelne gewinnen, da sind wir enorm ehrgeizig. Vor allem
haben wir aber eine Menge Spaß. Da geht vieles zusammen. Für mich ist das
Training ein Highlight der Woche. Ich freue mich immer riesig darauf, die Jungs
zu sehen.“ Die Jungs verbindet nicht nur ihre Fußballleidenschaft, sondern auch
ihr Beruf. Und das ist gerade bei diesem Beruf ungewöhnlich: Die Männer, die
tagsüber alleine um Worte ringen und sich einmal pro Woche zum Training
treffen, gehören nicht nur unterschiedlichen Generationen an, sie kommen auch
literarisch aus unterschiedlichsten Richtungen. Normalerweise würden sie sich
nie begegnen. Matthias Sachau schreibt Comedy-Romane, andere Kollegen legen
großen Wert auf Hochkultur. Beim Fußball sind sie ein Team. Letztlich macht es
auf dem Platz ohnehin keinen Unterschied, ob ein Kicker Gedichte oder Dramen
verfasst. Geht es darum, auf dem Platz ein Foul anzuzweifeln, dann
unterscheiden sich weder Hochkultur noch Comedy in Niveau und Wortwahl von der
jedes anderen Fußballer der Welt.
Kickende
Kultur-Botschafter

Promis auf der Trainerbank: Rudi
Gutendorf, Pepé, Jimmy Hartwig.
Gegner finden die kickenden Autoren überall. In Berlin spielen sie gegen andere Kulturschaffende, gegen Filmemacher, Schauspieler, Journalisten und Politiker. Ansonsten treten sie international gegen andere Schriftstellernationalmannschaften an. Von Fußball-Großereignissen gibt es immer auch eine Schriftsteller-Variante. Zur letzten EM spielte die Autonama ein Dreiländerturnier gegen die Gastgeberländer Ukraine und Polen und in diesem Sommer steht eine Fahrt zu Turnieren und Lesungen in Brasilien an. Bei all diesen Veranstaltungen steht Fußball im Vordergrund. „Auf dem Platz sind wir nichts anderes als fußballverrückte Jungs, die unbedingt gewinnen wollen,“ erzählt Norbert Kron. Sind die Tore geschossen, geht es wieder um Kultur. „Für Theo Zwanziger waren wir immer die optimale Schnittmenge aus Fußballbegeisterung und Kultur,“ erklärt Kron. Unterstützt wird die Mannschaft deshalb auch von der Kulturstiftung des Deutschen Fußballbundes. „Wenn wir im Ausland spielen, haben wir einen kulturellen Auftrag. Es geht nicht nur um Tore, sondern darum, kulturelle und gesellschaftliche Brücken zu bauen.“ Turniere enden meist mit Lesungen, nach Großveranstaltungen entsteht auch schon mal ein gemeinsames Buch. Der Austausch funktioniert in beiden Richtungen: Kultur findet in der Autonama zum Fußball und Fußball in die Literatur. Geschichten werden auf dem Platz geschrieben. Denn eigentlich ist alles ganz anders, als man früher in der Schule dachte: Kickende Jungs und Literatur passen wunderbar zusammen.